Die Bücher des Orakels

Die Bücher des Orakels – 1

Am Horizont erschien ein kleiner Punkt, der sich langsam den Stadttoren näherte.

Eine alte kleine Frau lenkte den Ochsenkarren zielstrebig Richtung Stadt. Neben ihr saß ein junger Mann mit schmalen Augen, tief versunken in einem Buch. Hinter ihnen lagen 15 weitere, große Bücher mit schweren Siegeln.

Als sie vor Stadt Halt machten wurde ein Bauer auf sie aufmerksam.

„Wer seid ihr, und was wollt ihr hier?“, fragte er geradeaus.

„Ich habe einen Handel vorzuschlagen“, eröffnete die alte Frau. Sie sah zwar aus als könnte sie über 100 Jahre alt sein, aber ihre Augen waren voller Leben.

„Was ich anzubieten habe sind 16 Bücher mit der Weisheit der gesamten Welt. Alles was ich dafür möchte ist 1 Sack Gold“

Der Bauer lachte.

„Ein ganzer Sack Gold! Nun, uns geht es wahrlich gut, aber ich glaube kaum, dass Jemand in hier sich auf diesen Handel einlassen würde!“

Mittlerweile sind weitere Menschen auf das illustre Paar aufmerksam geworden. Unter ihnen auch ein Händler mit goldenen Ringen an jeden Finger. Er hörte von dem Angebot und fiel in schallendes Gelächter.

„Ihr wisst wohl nicht um den Wert von Gold! Egal was in diesen Büchern stünde, es wäre bestimmt nicht mal einen meiner Ringe an meiner Hand wert! Schert euch fort. Ihr verschwendet auch unsere Zeit. Und Zeit ist Geld!“

Der junge Mann hob kurz den Blick, und wandte ein:

„Diese Bücher enthalten wirklich die Weisheit der gesamten Welt. Für einen Sack Gold sind sie mehr ein Geschenk als ein echter Handel“.

Auch er erntete nur Gelächter.

„Nun gut, dann gehen wir wieder“, seufzte das alte Weib. „Jedoch nicht, bevor wir die Hälfte der Bücher verbrennen“.

Sie und der junge Mann stapelten 8 der 16 Bücher zu einer Pyramide, und mit nur einem Streichholz setzten sie diese sofort in Flammen. Nach kürzester Zeit blieb nichts weiter übrig als ein kleiner Haufen Asche. Und so zogen Sie weiter, nun nur noch mit 8 Büchern beladen.

Doch bevor sie über den nächsten Hügel verschwanden löste sich plötzlich ein älterer Mann, der aus der Distanz die Szene verfolgt hatte, mit verschmitztem Lächeln aus der Menschentraube vor der Stadt, und eilte Ihnen nach. Noch bevor der Wagen im Nebel verschwand erreichte er den Wagen, der junge Mann reichte ihm die Hand und zog ihn hoch auf die Sitzbank.

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Die Bücher des Orakels – 2

Es vergingen 4 Jahre.

Die Stadt erlebte einige harte Winter und schlechte Ernten, aber sie konnte sich gut halten, auch dank den Vorräten die sie angehäuft hatten.

Die alte Frau lenkte wieder den Ochsenkarren vor die Stadttore. Der junge Mann von vor vier Jahren war nicht mehr dabei, nun saß an seiner statt der ältere Mann vom letzten Besuch neben dem Weib, und lass eines der Bücher.

„Warte, ich erkenne dich wieder…! Du warst vor 4 Jahren schon einmal hier und stahlst unsere Zeit!“, wurde sie von dem Händler damals begrüßt. An seiner Hand prunkten nur noch kleinere Goldringe.

„Ja richtig. Und ich mache euch heute wieder ein Angebot“

„Immer noch die Bücher?“

„Genau, 8 Bücher sind es noch. Die Hälfte der Weisheit der gesamten Welt.“

„Ich erinnere mich.“ Sein Blick schweifte uninteressiert in die Ferne. „Wisst ihr, wir haben ja längst eine riesige Bibliothek, mit tausenden von Büchern, und hunderte Gelehrte die diese studieren. Ich könnte mir nicht vorstellen was hier drinstehen soll was wir nicht schon lägst wissen!“

„Ich verkaufe Sie für zwei Sack Gold“

Der Händler wandte sich ihr ruckartig zu und verfiel in schallendes Gelächter. Wieder hatten sich einige Städtler um sie versammelt.

„Offenbar habt ihr wirklich keine Vorstellung davon wie Handel und Wirtschaft funktioniert! Ihr vervielfacht einfach den Preis! Ich sage euch als einer der reichsten Menschen dieser Stadt, niemand wird euch für diesen Quatsch auch nur annähernd zwei Sack Gold geben! Von Händler zu Händler, lernt euer Handwerk bevor ihr hausieren geht!“

„Nun“, antwortete die ältere Frau, „ich bin auch keine Händlerin. Ich bin nur ein Orakel, mit einer Botschaft.“

„Wenn ihr wirklich nur ein Orakel seid, was spricht dann dagegen den Menschen hier die Bücher einfach zu schenken?“

„Wisst ihr, manche Botschaften müssen erst einen gewissen Wert gegeben werden bevor der Mensch sie wertschätzen kann.“

Der ältere Mann der neben ihr auf dem Karren saß blickte von seiner Lektüre auf.

„Diese Bücher enthalten wirklich die Weisheit der gesamten Welt. Für zwei Säcke Gold sind sie immer noch ein Geschenk“.

Der Händler winkte ab.

„Nun gut. Dann werde ich mir wohl wieder ein Feuer machen müssen“

Auch das Feuer mit den vier Bücher brannte hoch, und hinterließ nichts als feine Asche. Der Ochsenkarren fuhr wieder langsam aber zielstrebig von dannen. Zwei junge Menschen aus der Stadt stocherten in der Asche, fanden aber wirklich nichts außer unleserliche Seitenfetzen. Nach kurzem Zögern rannten sie dem Gefährt hinterher, bevor es am Horizont verschwand.

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Die Bücher des Orakels – 3

Es vergingen 4 Jahre.

Die Stadt erlebte eine harte Zeit. Kriege erschütterten die Landesgrenzen, und der Reichtum schwand. Aber die Bewohner kamen trotzdem gut über die Runden, die Reichen leichter, die Armen schwerer.

Wieder kam der Ochsenkarren vor die Stadttore. Statt dem älteren Mann saßen nun die zwei jungen, ehemaligen Stadtbewohner neben der alten Frau auf dem Ochsenkarren. Ihre vormals gepflegten Kleider zierten nun manche Flicken, und ihre Haare fielen ihnen leicht zerzaust ins Gesicht. Beide waren vertieft in das Buch, dass sie gemeinsam ließen.

„Du schon wieder!“, wurde das Orakel begrüßt.

„Ja ich schon wieder. Vier Bücher, ein Viertel des Wissens der gesamten Welt, für vier Säcke Gold!“

„Du kommst diesmal schnell zur Sache“, entgegnete der Händler vom letzten Mal. Nur mehr zwei Goldringe zierten seine Hände, neben billigen Kupferringen. Neben ihm stand ein weiterer Händler, von ähnlichem Auftreten wie er.

„Nun, ich habe mich erst vor kurzem hier mit meinem guten Freund unterhalten. Und unter anderen Umständen hätten wir Interesse an deiner Ware gehabt“

„Vier Säcke Gold!“

„Nun nun, warte doch. Wir würden gerne in Ruhe einen Blick auf die Bücher werfen, und dir anschließend ein faires Angebot machen. Aber…“ und er musste sich ein Lachen verkneifen „Vier Säcke Gold sind ausgeschlossen!“

„Das ist aber der Preis, und keinen anderen akzeptiere ich!“

„Jetzt höre zu, altes Orakel! Denke nicht du bist die Einzige mit deiner Geschichte! Wir sind nicht auf dich angewiesen! Alleine in den letzten Monaten haben wir von fahrenden Händlern ganze Regale voll mit Weisheitsbüchern gekauft! Und es wahren wirklich erstaunliche Erkenntnisse darin! Wir haben sie für wenige Silberstücke kaufen können aber für viele Goldstücke an die Bibliothekare und andere Händler weiterverkaufen können! Deine Bücher sind für uns weit weniger von Interesse als du glaubst!“

Die beiden jungen Menschen blickten von ihrem Buch auf, mit einem ähnlichen Leuchten in den Augen wie das alte Weib.

„Diese übrigen Bücher enthalten wirklich einen Teil der Weisheit der gesamten Welt. Für vier Säcke Gold sind sie immer noch ein unglaubliches Angebot“.

Die beiden Händler grinsten und schüttelten nur ihre Köpfe.

Wieder wurde die Hälfte der Bücher verbrannt. Und gerade bevor der Wagen verschwand, rannten drei junge Städtler dem Wagen hinterher.

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